Russlands Krieg und das Lukaschenko-Regime:

  • Die Belarussen warten nur auf die passende Gelegenheit

    Dissidenten kommen als freiwillige Kämpfer in der Ukraine erstmals an Waffen. Stürzt der Kreml in Chaos, könnte das Gewalt in Minsk auslösen. Ein Gastbeitrag.

    - Slawomir Sierakowski, Gründer der Bewegung Krytyka Polityczna, ist Senior Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Copyright: Project Syndicate, 2022, project-syndicate.org).

    Während der Krieg in der Ukraine weiter tobt, scheint die Stabilität des benachbarten Weißrusslands, das die russische Invasion unterstützt hat, zu bröckeln. Schwächt der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin das Regime in Minsk, das praktisch ein abgelegener Flügel des Kremls ist?

    Im August 2020 blieb Präsident Alexander Lukaschenko nach Wahlfälschungen im Amt, obwohl Swetlana Tichanowskaja die Wahlen mit ziemlicher Sicherheit gewonnen hat. Das löste monatelange Proteste aus. Das Regime reagierte mit Terror und Massenverhaftungen, was zu noch größeren Protesten führte. Nach der Wahl begann Lukaschenkos Macht zu schwinden, als Arbeiter, öffentliche Medien, Ärzte, Studenten, Rentner und viele andere sich öffentlich gegen die Sicherheitsdienste stellten.

    Das ganze Land streikte, aber Lukaschenko hielt sich mit brutalen Interventionen loyaler Spezialeinheiten in dem Amt, das er seit 1994 hat. Dennoch ist klar, dass die Belarussen nicht zu alter Passivität zurückkehren werden. „Wir haben uns alle verändert, und zwar für immer“, sagt die Oppositionsführerin Mascha Kalesnikowa, die die vergangenen 23 Monate im Gefängnis saß. Die Belarussen haben sich in der Zeit auch wegen fehlender offizieller Informationen zur Coronapandemie massenhaft an unabhängige Medien gewandt und gewöhnt. Die nutzen sie trotz drohender Inhaftierung auch heute noch.

    Die Belarussen taten immer so, als lebten sie in einem freien Land
    Dass die Belarussen die Welt 2020 mit ihrem anhaltenden Protest und den Forderungen nach Demokratie verblüffen konnten, liegt auch daran, dass ihr Land – wie die Ukraine – trotz der jahrhundertelangen Russifizierung und Sowjetisierung Russland kulturell fremd geblieben ist. Die Belarussen taten immer so, als lebten sie in einer demokratischen, liberalen Gesellschaft, denn so sehen sie sich selbst (obwohl ältere Jahrgänge stark von Russland und Lukaschenko beeinflusst werden).

    Die Belarussen mit den Ukrainern zu vergleichen und die gleiche Art von Widerstand zu erwarten, wäre aber unfair. Sie haben keine Oppositionsmitglieder im Parlament oder in den lokalen Regierungen, wie es die Ukrainer vor der Invasion hatten. Eher taugt der Vergleich mit Polen: Die Polen haben Ende 1981 friedlich gegen die Verhängung des Kriegsrechts protestiert, was die einzige Möglichkeit war, sich Gehör zu verschaffen.
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    https://www.msn.com/de-de/nachrich…nout&li=BBqg6Q9