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In den vergangenen Tagen war ich mit meiner Frau in Lublin zu einer Konferenz der Ukrainisten, die in den Räumen der Katholischen Universität stattfand. Die Themen streiften verschiedene Aspekte der Ukrainistik, es gab z.B. Vorträge über den Gebrauch des Ukrainischen im Zusammenhang mit Computerei und Internet, um das berüchtigte KK-Sprachgesetz und seine Hintergründe und schließlich auch um zeitgenössische ukrainische Literatur, genauer gesagt um den (nicht ganz unumstrittenen) Roman von Lina Kostenko. Auf die intellektuellen Freuden einer solchen Veranstaltung will ich nun aber nicht weiter eingehen, sondern ein wenig von meinen Eindrücken zu Land und Leuten berichten
Leider ist Lublin recht klein, hat daher auch keinen Passagierflughafen, der für uns aus Norddeutschland anfliegbar wäre und liegt auch recht weit im Osten, wodurch für mich eine Fahrt per Auto eher nicht favorisiert war. Wir flogen daher zunächst nach Warschau, um dann von dort mit einem Minibus in rund 2 1/2 Stunden nach Lublin zu fahren. Ich bekam auf der Hinreise dadurch erst einmal nur einen sehr kurzen Eindruck von Warschau - ein moderner, großer und reibungslos funktionierender Flughafen und eine moderne und schnelle Bahnverbindung zum Hauptbahnhof. Dann im Bus sitzend fühlte ich mich schnell bestätigt, warum ich lieber nicht mit dem Auto fahren wollte, da war sie wieder, diese endlos scheinende Landstraße, auf der man nur langsam vorankam (viele Ortschaften und viel Verkehr) und die ich auf meinen früheren Reisen in die Ukraine doch etwas hassen gelernt hatte. Nach wie vor finde ich, dass die Polen das beste daraus machen, es gibt dort ja dieses System mit dem recht großzügigen Seitenstreifen, auf den langsame Fahrzeuge und Gegenverkehr ausweichen, wenn man überholen möchte. Das funktioniert soweit ziemlich gut, aber natürlich bleibt das durchschnittliche Tempo dennoch bescheiden. Ein kurzer Abschnitt der Strecke nach Lublin war sogar Autobahn, aber der Großteil doch immer noch Landstraße.
Lublin ist ja recht nah an der ukrainischen Grenze, und manche sagen, dass die Mentalität der Menschen dort sich auch ein wenig von der im "Kernland" unterscheidet. Nun, der Fahrstil scheint das zu bestätigen, ich musste einmal beim Überqueren der Straße einen ziemlichen Satz machen
Wir waren in Lublin bei Freunden untergebracht in einem hervorragend renovierten Plattenbau und einer schönen und modern ausgestatteten Wohnung. Die Plattenbau-Häuser, die ich dort gesehen haben, waren ausnahmslos in sehr gutem Zustand, entweder neu verputzt oder (sehr populär) mit so einer geriffelten, cremefarbenen Fassade versehen, bin mir nicht sicher, welches Material das war. Anders als in der Ukraine, waren auch Treppenhäuser und Briefkästen top in Schuss. Ich erwähne das deshalb, weil ich in der Ukraine doch viel anderes gesehen habe, zum Teil aus Geldmangel, zum Teil aber auch (nicht nur meine Einschätzung) aus einer gewissen Gleichgültigkeit heraus.
Aber zurück zu Lublin - dies ist eine wunderschöne historische Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten und zwei großen Universitäten, die nur auf Steinwurfweite voneinander entfernt sind. Beginnen wir mal kurz mit etwas Geschichte: Lublin ist die Stadt, in der im 16. Jh. die sog. Union von Lublin, also die Vereinigung des Litauischen mit dem Polnischen Reich stattfand. Dies ist zweifellos ein ganz wichtiger Moment in der polnischen Geschichte, wenn auch für viele Ukrainophile wie mich ein durchaus ambivalentes Ereignis, da neben all den positiven Errungenschaften der Rzeczpospolita hiervon letztlich auch die Einführung des mitteleuropäischen Modells der vom adeligen Landbesitzer abhängigen, unfreien Bauernschaft sowie die intensive Polonisierungs- und Katholisierungspolitik großer Teile der Ukraine ausging. Der historische Stadtkern Lublins geht bis ins 13. Jh. zurück, größere Teile stammen aus der Zeit eben der schon erwähnten Union im 16. Jh. zurück, das ist wirklich sehr beeindruckend. In der Altstadt gibt es wirklich schöne Kneipen, und angesichts des kalten Wetters gab es einigen Anlass, Glühwein und das berühmte polnische warme Bier zu trinken. Zu letzterem muss ich sagen, dass ich mir wirklich nicht vorstellen konnte, wie man so etwas nur trinken kann, aber am Ende doch angenehm überrascht war. Das ganze schmeckt recht süß mit einem Schuss Säure, gewürzt mit Zimt und anderen Gewürzen, wirklich lecker und hilfreich bei der Scheißkälte, die wir hatten. Auch erwähnenswert ist das Freilichtmuseum, wo eine griechisch-katholische Holz-Kirche aus dem 17. Jh. steht (sie wurde demontiert und dann in den 1990er Jahren in Lublin wieder aufgebaut). Die Kirche ist immer noch in Benutzung und hat eine wundervolle Ikonostase (die allerdings ursprünglich aus einer anderen Kirche stammt).
Nach der Konferenz ging es dann am Samstag nach Warschau zurück, wo wir uns noch mit anderen Freunden trafen. Viel von der Stadt konnte ich leider nicht kennenlernen, war aber (wie übrigens auch aus Lublin schon) sehr beeindruckt von der modernen Infrastruktur und guten Organisation. Das einzige, was mich etwas irritierte, war, dass man (in unserem Fall mit einigem Gepäck beladen) mal locker 700m vom Hauptbahnhof zur Metrostation läuft, was so ein wenig meine Begeisterung für die Architekten der Stadt minderte. Ansonsten fiel mir auf (was auch unsere Gastgeberin bestätigte), dass Warschau sehr viel grüne Flächen hat. Die Stadt war ja im Krieg übel zerstört worden, speziell nach dem Ghetto-Aufstand waren die deutschen Besatzer ja regelrecht bemüht, dort kaum einen Stein auf dem anderen stehen zu lassen. Einige alte Gebäude wurden wieder schön hergerichtet, aber man sieht auch sehr viele neuere Bauten. In dieser Beziehung erinnerte mich Warschau sehr an meine Stadt, Hamburg.
Zurück in Deutschland erlebten wir dann ein paar gute Beispiele von deutscher "Schlamperei" - wir standen am Flughafen Hannover am S-Bahnsteig, und uns wurde mitgeteilt, dass unsere Bahn zum Hauptbahnhof wegen eines Defekts auf der Strecke nicht fahren würde - nicht mehr und nicht weniger. Da wir einen Anschlusszug kriegen mussten, stellte sich für uns nun die Frage, ob wir warten sollten oder nicht, nur bestand doch nun eine reale Gefahr, dass der nächste Zug wegen gerade dieses Streckendefekts ebenfalls nicht fahren würde. Darüber verlor die nette Dame am Mikrofon aber kein Wort. Wir fanden auch auf dem gesamten Bahnsteig kein menschliches Wesen, das uns dazu hätte Auskunft geben können. Also beschlossen wir, mal nach Bussen zu sehen. Wir folgten den Hinweisschildern zu dem Ausgang, von wo aus es zu den Bussen gehen sollte, standen dann zwischen lauter Autos, es gab kein weiteres Hinweisschild, wir mussten einfach raten, in welche Richtung wir weiter gehen sollten. Mit Bussen ins Zentrum sah es mau aus, also teilten wir uns mit einem anderen Paar ein Taxi. OK, wir waren für etwas mehr Geld nun rechtzeitig am Hauptbahnhof und durften dann mal wieder den Stuttgart-Hamburg-ICE-Blues singen. Die Dinger fahren kurz getaktet, was ja gut ist, nur wenn sich einer verspätet, verspäten sich alle, weil die da ja schlecht überholen können. Doof ist es dann, wenn man ein Sparticket hat und nicht den früheren (auch schon verspäteten) Zug nehmen kann. Aber immerhin, es war dann ja alles im grünen Bereich
Auf jeden Fall wird dies nicht mein letztes Mal in Polen sein. Ich kann die Sprache zwar kaum verstehen (die Aussprache unterscheidet sich vom Ukrainischen schon ziemlich), aber die Leute, die wir dort getroffen haben, waren einfach großartig, und das Land hat einfach eine wirklich angenehme Atmosphäre, und das Essen ist auch wirklich gut, allein darüber könnte man schon einen Bericht schreiben! Das einzige, was ich kritisieren muss, ist das Bier, das gefällt mir ein paar Kilometer weiter in Tschechien einfach um Längen besser
[edit mbert: die Union von Lublin war natürlich im 16. Jh.!!]