Der Winter des Lebens ist in der Ukraine hart und unerbittlich. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung fristet ein
Dasein unterhalb der Armutsgrenze, besonders schlimm leiden Rentner. Nach lebenslanger Maloche wünschen sich viele nur eins: dass der Tod schnell kommt.
Oft fragt sich Ksenja Mardan, warum sie nicht einfach verrückt wird. Vielleicht wäre dann alles besser? Das Leben wäre dann nicht mehr so bedrückend wie ihr 13 Quadratmeter großes Zimmer, ihr Heim seit 28 Jahren. Wenn sie verrückt würde, dann müsste sie nicht mehr an ihr Elend denken. Jeden Tag geht sie auf dem alten Holzboden auf und ab. Zwei, drei Schritte in die eine Richtung, zwei drei Schritte in die andere. Dann setzt sie sich auf ihr durchgelegenes Bett. Aus dem alten Radio knarzt monoton ein Ansager, dann wieder Musik. Frau Mardan lauscht. Sie versucht, nicht nachzudenken. Am besten ist, sie blickt nach rechts, zum Fenster mit den Blumentöpfen davor. Dort scheint hell die Wintersonne durch staubiges Glas. Nach links will sie nicht sehen. "Es ist kein schöner Anblick", sagt die alte Frau. Da steht der Ofen hinter dem Vorhang, ein Stuhl, ein paar Pfannen und Blechtassen, zwei Plastikeimer.Das ist alles, was die 78-Jährige ihr Eigen nennen kann. Sie hat nicht einmal ein richtiges Regal, um alles einzuräumen.
"Wenn ich nur eine eigene Küche hätte, dann würde das hier schon anders aussehen", meint die alte Frau. Und eine Toilette. Die ist unten im Keller. Dort ist es kalt - so kalt wie das Wasser, das aus dem Hahn kommt. Mit ihrer Polyarthritis ist das Treppensteigen für Frau Mardan jedes Mal eine Tortur.
1,80 Euro täglich für Essen, Kleidung und Medikamente
Vor 28 Jahren bekam sie die Wohnung vom Papierkombinat zugewiesen. Zuvor hatte sie immer als Untermieterin bei Fremden gewohnt. "Mein Leben lang hab ich hart gearbeitet. Zuerst als Melkerin in der Kolchose, dann 23 Jahre in der Fabrik", sagt die alte Frau. Eine Liebe hat sie nie
gefunden.
Mit 50 war ihre Gesundheit ruiniert. Tag für Tag hatte sie die Dämpfe der Chemikalien eingeatmet. Ksenja Mardan fühlte sich schwächer und
schwächer. Dann kam der Herzinfarkt. Die Kombinatsverwaltung ließ sich endlich erweichen. Sie wies der damals 50-Jährigen zum Antritt der
Invalidenrente ihre erste eigene Wohnung zu: 13 Quadratmeter ohne Küche,Bad und Toilette. Nicht mal ein Waschbecken gibt es.
Viel ist ihr nicht von all der Plackerei geblieben. Keine 80 Euro Rente im Monat. "Miete, Strom, Heizung, Essen und vor allem meine Medikamente. Ich weiß nicht, von was ich das alles bezahlen soll", sagt die 78-Jährige. Zieht sie Miete und Nebenkosten ab, bleiben ihr umgerechnet 1,80 Euro täglich für Essen, Kleidung und Medikamente.