Die Ukraine im Zarenreich des 18. Jahrhunderts

    • Offizieller Beitrag

    Ich hatte heute gerade einmal wieder das vorzügliche von Frank Golczewski herausgegebene Buch "Geschichte der Ukraine" in der Hand noch einmal das Kapitel zur Ukraine unter russischer und polnischer Verwaltung, verfasst von Wolfdieter Bihl aufgeschlagen.

    Ich bin da über ein paar Abschnitte gestolpert, die ich gern mit Euch teilen möchte. So heißt es u.a.:

    Zitat

    Die ukrainischen Städte verloren ihre aus der polnisch-litauischen Zeit stammende und meist auf dem Mgdeburger Stadtrecht gründende Selbstständigkeit, als letzte Kiew 1835.


    Als neue Eliten gab es je nach geographischer Lage in den russischen Adel aufgenommene Abkömmlinge der Kosaken-Starshyna, sowie Polen und Russen. Weiter:

    Zitat

    In die höhere Bürokratie aufgestiegene Nichtrussen gebärdeten sich oft "russischer" als die Russen.

    Interessant in Bezug auf die wahrgenommene sich von der russischen unterscheidende Identität finde ich diese Formulierung:

    Zitat

    Während in der Zeit des Nordischen Krieges die Bereitschaft zur antirussischen Parteinahme unter den mit der Zentralisierung unzufriedenen Ukrainern groß war, erstarb nach dem Fiasko von Poltava (1709) und der erfolgreichen Zentralisierung des Russischen Reiches die Bereitschaft zu neuerlicher Zusammenarbeit mit einem ausländischen Eroberer.

    Ein deutlicher Hinweis auf die zaristische Russifizierungspolitik findet sich bei der Gründung der Universtität Kyiv (die Mohyla-Akademie war ja schon 1817 auf Betreiben von Alexander I geschlossen worden, nachdem sie aber schon durch konsequente Gängelungen und finanzielle Vernachlässigung einen langen Niedergang hinter sich gehabt hatte):

    Zitat

    Die Universität in Kiew wurde 1834 ausdrücklich als russische Universität gegründet, wie aus der Inauguraladresse des Bildungsministers Uvarov ersichtlich ist: sie diene dazu "russische Erziehung und russische Narodonost' (Nationalität, nationales Volkstum) in den polonisierten Ländern Westrusslands zu verbreiten".

    Zur Intelligenzia heißt es:

    Zitat

    Die Ukraine war weit entfernt; aus der Ukraine stammende [ins russische Machtzentrum abgewanderte] Intellektuelle hatten kaum Veranlassung und Gelegenheit, sich zugunsten eines Separatismus ihrer Heimatregion zu artikulieren.
    Die Beschäftigung mit separat ukrainischen Entwicklungen blühte noch am ehesten dort, wo sich die ukrainische soziale Eigenart am längsten erhalten hatte: in der linksufrigen Ukraine.

    Zur Sprache heißt es:

    Zitat

    Die gesprochene Sprache des ungebildeten ukrainischen bauern erschien den Gebildeten roh und von beschränkter Anwendungsmöglichkeit; viele Angehörige der Iltelligencija meinten, Ukrainisch sei keine eigenständige Sprache, sondern nur ein Dialekt des Russischen.

    Hier wird im Weiteren übrigens als Beispiel für einen russifizierten ukrainischen Intellektuellen auch Oleksij Pavlovskij mit seiner "Grammatik des kleinrussischen Dialekts" als ein Vertreter dieser Gruppe erwähnt.

    Die Änderung der Bevölkerungsstruktur kann man anhand der Urbanisierung sehen:

    Zitat

    Mit dem Anwachsen von Handel und Industrie stieg auch die Zahl der Nichtukrainer in den Städten der Ukraine. Schon 1843 waren ca. 50% der Kaufleute und 45% der Fabrikbesitzer in der Ukraine Russen. Das andere größere nichtukrainische Element stellten die Juden dar. Die Städte der rechtsufrigen Ukraine wurden überwiegend jüdisch. [...] Da die meisten gebildeten Juden dazu neigten, russisch zu sprechen, verstärkte sich der russische Charakter der Städte.

    Schließlich enthält auch noch der letzte Abschnitt zur kulturellen und kirchlichen Entwicklung 1861 - 1914 einiges interessantes:

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    Die zemstva (in der rechtsufrigen Ukraine erst ab 1911) verbesserten die Volksschulbildung; das Ukrainische war dort allerdings verboten.[...] Mit der Gründung der Universität Odessa 1865 erhielt die Ukrainie ihre dritte Universität. Durch dem Emser Ukaz von 1876 wurde die ukrainische Sprache aber aus dem öffentlichen Leben verbannt. [...]; erst nach der russischen Revolution von 1905 wurde die ukrainische Sprache wieder zugelassen.
    Zwischen 1876 und 1905 bot nur das österreichische Galizien Publikationsmöglichkeiten für ostukrainische Autoren. Ostukrainische Schriftsteller leisteten einen bedeutsamen Beitrag zur gesamtukrainischen Literaturleistung (Ivan Nechuj-Levytskyj, Panas Myrnyj, Anatol Chvydnytskij, Mykhajlo Kotsubynskyj, Lesja Ukrajinka [= laryssa Kosach-Kvitka] usw.).

    Zum Schluss möchte ich noch einen Absatz aus Subtelny's Geschichte der Ukraine (meine eigene Übersetzung) zitieren, der für mich die Art, auf die Russifizierung im Kleinen passierte, recht gut illustriert (und auch ein wenig erklärbar macht, warum Russen in der Ukraine bis heute eher wenig Bereitschaft zeigen, sich der ukrainischen Kultur anzupassen):

    Zitat

    Erst im späten 19. Jahrhundert, im Zusammenhang mit dem industriellen Boom, kamen Russen in großen Zahlen in die Ukraine, vor allem in die industriellen und wirtschaftlichen Zentren im Süden. Freiwillige Russifizierung, vor allem verbreitet unter dem ukrainischen Adel, vergrößerte noch die Zahl der Russen. Wie schon vorher bemerkt, stellten Russen 1897 11.7% der ukrainischen Bevölkerung. Überzeugt, dass die Ukraine im Grunde ein russisches Gebiet sei und ihre russische Kultur der ukrainischen überlegen, zeigten Russen üblicherweise wenig Begeisterung, die ukrainische Sprache zu lernen und zeigten auch wenig Respekt vor den ukrainischen Sitten und Traditionen. Sie bestanden auf die Russifizierung aller Aspekte des ukrainischen Lebens, und zumindest in den großen Städten erreichten sie ihr Ziel.