Medwedew erlaubt sich Kritik an Putin und ER-Partei
Moskau. Präsident Medwedew hat in seinem Jahresbilanz-Interview sowohl die Mehrheitspartei „Einiges Russland“ wie auch Wladimir Putin kritisiert – letzteren für dessen vorverurteilende Äußerungen zu Chodorkowski.
In Verbindung mit den rassistischen Straßenkrawallen und der Konfrontation zwischen ethnischen Russen und Kaukasiern in Moskau sagte Dmitri Medwedew, dass die Politik nicht auf die Straße getragen werden solle.
ER: Korrumpiert und taktlos
Vor allem die Parteien sollten sich jetzt ihrer Verantwortung stellen. „Und unsere wichtigste Partei ‚Einiges Russland‘ sollte nicht nur herrschen, sondern auch Verstand, Takt und Kraft beweisen, die richtigen Leute aufstellen und die Korrumpierten und Arbeitsscheuen aus den vorderen Reihen abziehen und bestrafen“, sagte Medwedew.
Die Oppositionsparteien müssten seinerseits an der Erörterung aller Fragen beteiligt sein. „Die Tatsache, dass sie Opposition sind, heißt nicht, dass sie vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind.“ Diese Diskussionen müssten auch im Fernsehen geführt werden, vor allem in den regionalen Sendern, forderte Medwedew. „In den Regionen gibt es sonst immer die Möglichkeit, etwas unter den Teppich zu kehren.“
Verweis von "oben": Putin erlaubt sich zuviel
Angesprochen auf öffentliche Aussagen von Wladimir Putin zu dem vor einer neuen Verurteilung stehenden Ex-Magnaten Michail Chodorkowski, erklärte Medwedew (ohne den Namen des „Sünders“ zu nennen) das dies nicht korrekt war:
„Weder der Präsident, noch sonst ein Amtsträger im Staatsdienst, hat das Recht vor der Verkündigung des Urteils seine Meinung zu diesem Verfahren oder jedem anderen Verfahren zu sagen“, so Medwedew.
Putins Vorverurteilung Chodorkowskis
Putin hatte in seiner TV-Bürgerfragestunde letzte Woche Chodorkowski als „Dieb, der ins Gefängnis gehört“ bezeichnet und ihm die Verantwortung für Morde auferlegt, für die der Leiter des Yukos-Sicherheitsdienstes verurteilt wurde. Außerdem sagte Putin, Chodorkowskis Schuld sei „vor Gericht erwiesen“.
Später präzisierte ein Putin-Sprecher, der Premier habe damit nur den schon lange zurückliegenden ersten Prozess gegen Chodorkowski gemeint. Putin konnte aber auch durchaus auch so verstanden werden, dass im jetzt laufenden Verfahren die Schuld des Angeklagten bereits fest stünde.
Chodorkowskis Anwälte sahen darin einen eindeutigen Beleg für den Druck, der seitens Putins und seiner Gefolgsleute auf die russische Justiz ausgeübt wird, um das gewünschte harte Urteil gegen den verfemten Ex-Oligarchen zu erhalten. Es soll ab dem 27. Dezember verkündet werden.
Im Tandem gibt es auch mal Konflikte
Bisher haben Putin und Medwedew es eigentlich immer gründlich vermieden, öffentlich Meinungsverschiedenheiten innerhalb ihres „Tandems“ anzusprechen.
Dass Medwedew nun mit dieser Gewohnheit bricht, ist ein Indiz dafür, dass er angesichts der 2012 anstehenden Neuwahlen eigenes politisches Profil gegenüber seinem Vorgänger und Mentor gewinnen will.
Putin ist zudem Vorsitzender und Leitfigur der Mehrheitspartei „Einiges Russland“ (ER), deren unangefochtene Vorherrschaft Medwedew nicht das erste Mal kritisiert.
Mehrfach gingen vom Präsidenten in letzter Zeit Initiativen zur Stärkung des Pluralismus im politischen System Russlands aus - die aber bisher wenig Wirkung in der Realität zeigten.
(ld/.rufo/St.Petersburg)
Ganz schön mutig